Autismus – ein kurzer Überblick

Jenny Groß

Häufigkeit von Autismus 

Bislang sind keine wissenschaftlichen Untersuchungen in Deutschland zur Häufigkeit autistischer Erscheinungsformen bekannt, nur aus anderen Ländern, worauf man dann auf deutsche Fallzahlen schließt. Man geht derzeit von einer Häufigkeit von 1,5-2 % aus. Auf internationaler Ebene liegen die durchschnittlichen Angaben deutlich höher. Insgesamt steigt die Häufigkeit rasant an, man geht davon aus, dass Autismus häufiger diagnostiziert wird, da das Erkennen autistischer Erscheinungsformen und das Bewusstsein dafür in den letzten Jahren sehr angestiegen ist. Es gibt zunehmend mehr Psychiater, die sich mit Autismus auskennen, allerdings ist die Versorgung noch lange nicht flächendeckend und nicht zufriedenstellend. Nach wie vor ist von einer großen Dunkelziffer, vor allem in Bezug auf das Asperger Syndrom auszugehen. Gerade Mädchen und junge Frauen fallen sehr häufig durch das Raster der Diagnostik, da sie sich zu gut maskieren können. Sie sind eher in der Lage ihre kommunikativen und sozialen Fertigkeiten anzupassen, als das männliche Geschlecht, sagt man. Teilweise werden auftretende Probleme bei Mädchen und Frauen auch fehlgedeutet. 

Was ist bei Autisten anders? 

Informationsverarbeitung An erster Stelle ist eine veränderte Informationsverarbeitung zu nennen. Die Informationen aus den Sinnesorganen können sehr intensiv und angenehm, aber auch sehr intensiv im unangenehmen Sinne wahrgenommen werden. Aufgrund dieser Hyper- und Hyporeagibilität reagieren viele Autisten sehr empfindlich auf Reize. Diese Überempfindlichkeiten sind aber nicht immer in gleichem Ausmaß vorhanden. Es kann zur Reizüberflutung kommen, welche sich wiederum mit verschiedenen Symptomkomplexen äußern können. Es kann zu einem Overload, Meltdown oder auch Shutdown kommen. Zudem können Filterprobleme – eine sogenannte Reizfilterschwäche vorliegen. Reize können zur Qual werden, da alles gleichzeitig auf Autisten einprasselt. Die Sprache des Gegenübers kann genauso laut wahrgenommen werden, wie die Hintergrundgeräusche und nicht mehr auseinander gehalten werden. Beim Betrachten eines Bildes beispielsweise können die visuellen Informationen des Hintergrundes gleich stark sein, wie die eines Gegenstandes im Vordergrund. Manche Informationen können auch von manchen Autisten überhaupt nicht verarbeitet werden, so kommt es zu einer andersartigen Wahrnehmung vieler Gegebenheiten. Es besteht die Tendenz die Aufmerksamkeit viel mehr auf Details zu richten, als auf das Gesamtbild. Man spricht auch von der schwachen zentralen Kohärenz. Das ist der Grund, warum Autisten hervorragend in der Muster- und Fehlererkennung sind. Intuitives Lernen ist deutlich erschwert oder teilweise auch nicht gegeben, sodass alles bewusst wie eine Fremdsprache gelernt werden muss. Beispielsweise werden einzelne soziale Situationen und Zusammenhänge nicht in ihrer Bedeutung erfasst, Autisten lernen jede soziale Situation als einzelnes Geschehen, können dieses nicht auf neue Situationen übertragen. Es kommt zu unzähligen erlernten einzelnen Eindrücken, Nicht-Autisten lernen 

Intuitiv ohne bewusstes Lernen. Man kann sich vorstellen, dass das eine enorme Anstrengung bedeutet, weshalb das Maskieren auch so häufig in Depression und Zusammenbruch endet. Autisten haben eine deutlich höhere bewusste Wahrnehmung, als Nicht-Autisten und laufen somit permanent auf Hochtouren. 

Aufgrund dieser vielen andersartigen Eindrücke verläuft das Leben im Kontext einer anderen Wahrnehmung und die Entwicklung nimmt vom Kleinkindalter an einen anderen Verlauf. Umso mehr sind Autisten auf Verständnis angewiesen und auf eine Umwelt, die auf die Besonderheiten einzugehen weiß. Es kommt nicht selten zu Missverständnissen zwischen Autisten und Nicht-Autisten und mangelndem Verständnis beider Seiten füreinander. 

Kommunikation 

Auch im Bereich der Kommunikation zeigen sich Besonderheiten. Ausdruck und Mimik werden nicht immer verstanden oder gar nicht verstanden, das Deuten von Intentionen und Gefühlen des Gegenübers wird erschwert. Auch die Perspektivübernahme des anderen stellt oft eine Herausforderung dar. Unausgesprochene Regeln stellen ein großes Hindernis dar, deshalb ist es umso wichtiger mit Autisten klar und direkt zu kommunizieren und keine versteckten Andeutungen zu machen. Manche Autisten haben Probleme beim Aufnehmen und Halten von Blickkontakt, bestehen Schwierigkeiten, können diese auch geübt und das Halten von Blickkontakt verbessert werden. Es gibt auch Untersuchungen, dass die Gabe von Vitamin B6 300 mg/Tag den Blickkontakt minimal verbessern würde. Eine weitere Barriere ist das Verstehen von zweideutigen Aussagen, von Sarkasmus, Ironie und den Pointen bei Witzen. Allerdings haben Autisten auch sehr viele Stärken, sie sind ehrlich, direkt in ihrer Kommunikation und manipulieren andere Menschen in der Regel nicht, was bei Nicht-Autisten leider sehr häufig vorkommt. Auch ist das sprachliche Niveau von Autisten oft gehoben und sie können sich verbal sehr gut ausdrücken. 

Sozialverhalten

Oft liest man immer wieder „Störung der sozialen Interaktion“, was oft den Eindruck erweckt, dass Autisten keine sozialen Fähigkeiten haben, was nicht stimmt. Mit diesem Ausdruck sind die Probleme in der Kommunikation gemeint und der Informationsverarbeitung, welche die soziale Interaktion erschweren können. Aber an dieser Stelle muss ich betonen, dass zur Interaktion immer noch zwei Gesprächspartner gehören und die Kommunikation logischerweise nicht einseitig gestört sein kann. Es bestehen auf beiden Seiten häufig Verständnisprobleme, wobei die Betonung auf „beiden Seiten“ liegt. Autisten haben sehr häufig sehr gut funktionierende soziale Strukturen untereinander, das ist bekannt und erwiesen. Ich habe dazu einmal eine Studie gelesen, dass Autisten sogar sozial im Vorteil waren, da sie nicht helfen, nur, um soziale Verstärkung zu bekommen, sondern sie helfen unabhängig von der sozialen Anerkennung durch andere.

Zur Studie geht es hier. 

Interessen 

Autisten haben in der Regel ein sehr eingeschränktes Repertoire an Interessensbereichen, sie sind meist auf ihr sogenanntes Spezialinteresse fixiert, gehen diesem exzessiv nach und häufen ein enormes Wissen in diesem Bereich an. Das Spezialinteresse kann einem Wechsel in Phasen unterliegen, muss aber nicht. 

Veränderungen aufgrund der stereotypen Bedürfnisse von vielen Autisten können viele nicht mit Veränderungen umgehen. Gleichförmigkeit suggeriert Sicherheit, Veränderungen Bedrohung und somit Unbehagen. Es werden immer wieder die gleichen Nahrungsmittel bevorzugt, gleiche Kleidung, das Nachgehen von immer gleichen Ritualen, gleicher Sitzplatz etc. 

Jenny Groß

1982 in Heidelberg geboren, fachgebundene Hochschulreife, im Anschluss das Latinum und Graecum (Altgriechisch) in einem Jahr absolviert, Ausbildung zur Krankenschwester in der Psychiatrie, viele Jahre Berufserfahrung im Fachbereich Psychiatrie (Akutpsychiatrie, forensische Psychiatrie, Polytox Station). Autismus Aufklärungsarbeit hat einen großen Stellenwert bei ihr, Spezialinteressen: Autismus und Psychiatrie.

Eine Antwort

  1. Sehr geehrte Frau Groß,

    ich bin beeindruckt ob Ihrer Informationen und auch Ihrer kurzen Vita. Ich habe gerade den Eindruck, dass mir diese Informationen für die 50 Prozent der Verantwortung in der Kommunikation und der Beziehungsgestaltung mit einer – wie ich diese Gegenüber*in gerade einschätze – Autistin, sehr weiterhelfen werden.

    Ich bedanke mich bei Ihnen von Herzen!

    Oliver Weigel

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