Diversity Day

Diversity Day: Autismus – Leben in einer anderen Welt

Ein Beitrag vom WDR zum Diversity Tag 31.05.2022, von Annette Hager.

Sie sehen, hören, riechen, fühlen anders und verarbeiten alle Eindrücke auf andere Art: Etwa 800.000 Menschen, die in Deutschland mit Autismus leben. Das entspricht einem Prozent der Bevölkerung.

Man spricht von einer Autismus-Spektrum-Störung, weil es ein Spektrum gibt, das von kaum merkbaren Symptomen bis zu einer schweren Behinderung reicht. Autisten nehmen die Welt mit ihren Sinnen ganz anders wahr: Schnell können ungefiltert und gleichwertig auf sie einprasselnde Eindrücke zur quälenden Reizüberflutung werden: Interaktion und Kommunikationsverhalten sind anders und es kostet Autisten enorme Energie, ein „normales“ Leben in der „neurotypischen“ Gesellschaft zu führen.

Späte Diagnose

Bis zur Diagnose ist es oft ein langer, qualvoller Weg: so war es auch bei Regine Winkelmann, Jahrgang 1964. Erst als bei ihren vier Kindern massive Schulprobleme – bis hin zur Schulverweigerung, Zusammenbrüchen und häufigen Krankheiten – auftauchten, begann die Suche nach Ursachen und Lösungen. So wurde sie selbst erst mit 47 Jahren als Asperger-Autistin erkannt mit der zusätzlichen Diagnose ADHS.

Schule war eine Katastrophe

Ihre eigene Schulzeit, erinnert sich Regine Winkelmann, war eine Katastrophe. Das Gefühl, irgendwie falsch zu sein und nicht dazuzugehören, begleitet sie seit frühester Kindheit. „Man hat immer wieder gespiegelt bekommen, dass man nicht adäquat reagiert„, sagt sie. Regine Winkelmann begann deshalb, andere zu beobachten und ihr Verhalten, ihre Sprache und ihren Umgang nachzuahmen: „Man macht dann vielleicht vieles irgendwann ‚richtig‘, aber es fühlt sich ja trotzdem falsch an“, berichtet sie. Man könne natürlich lernen, gut zu verbergen, was man empfindet, aber deshalb höre man nicht auf, so zu fühlen. Das sei eine permanente Anstrengung.“

Bürde und Bereicherung

Detailverliebtheit, große Empfindsamkeit und Empathie bereichern aber auch das Leben der Heilpraktikerin und großartigen Zeichnerin: Oberflächlichkeit und Langeweile sind ihr fremd. Wenn Autisten sich in etwas hineinbegeben, was sie interessiert, dann wird das schnell zur Obsession. Man nennt das auch „Spezialinteresse„. Das ist die beste Voraussetzung, um auf einem Gebiet ein Experte zu werden. Als Expertin für ihre eigene Neurodiversität hat Regine Winkelmann Bücher geschrieben und einen regelmäßigen Autismuskongress ins Leben gerufen.

Aufklärung

Als Referentin und Beraterin will Regine Winkelmann umfassender über Autismus aufklären: Vor allem Menschen, die beruflich mit Autisten zu tun haben, wie Lehrer, Mediziner, Therapeuten, Erzieher etc. Besonders autistische Kinder an Regelschulen bekommen oft Hilfen verweigert, berichtet sie. Lehrer sagten häufig: „Hey, da muss er aber langsam lernen, sich besser anzupassen, da muss er jetzt mal durch.“ Es fehle das Wissen, dass man Autismus weder aberziehen noch wegtherapieren kann, sondern dass er eben bleibe. Aus diesem Grund sind ein anderer Blick, Verständnis und veränderte Rahmenbedingungen unerlässlich in einer wirklich diversen Gesellschaft.

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