Für jeden Job geeignet?

Bettina Jürgens

Eine Autistin im Polizeidienst

Zum Ende der Schulzeit stand für mich fest, dass ich Staatsanwältin werden möchte.
Doch hätte das Jurastudium zur Folge, dass ich kein Geld verdienen würde. Die Polizeiausbildung dagegen lockte mit einem hohen Ausbildungsgehalt. Ich wusste, dass die Durchfallquote beim polizeilichen Einstellungstest sehr hoch ist und das Jurastudium nur von meiner Abiturnote abhängig war. Also entschloss ich mich für Plan A und falls dieser scheitern sollte, hatte ich ja noch Plan B, der auf jeden Fall funktionieren sollte. Notfallpläne brauchte ich schon immer, das gibt mir Sicherheit. Es gibt nichts Schlimmeres, als Planlosigkeit.

Plan A funktionierte und ich bestand im Jahr 1995 den Einstellungstest bei der Polizei. Im Nachhinein muss ich sagen, dass die Polizeiausbildung mir meine Grundlagen für soziale Kompetenzen gegeben hat. Wöchentliche Rollenspiele, Gruppenarbeit, Teamwork, Kommunikationstraining und viel Sport waren angesagt.
Allerdings fuhr ich jeden Tag nach dem Unterricht in meine Wohnung. Eine Übernachtung in der Polizeischule hätte ich nicht geschafft. So schaffte ich es, mich täglich für 8 Stunden am Riemen zu reißen. Die anschließende Stille in meiner Wohnung war mein Rückzug und Regeneration.

Nach der Ausbildung hatte ich das große Glück in einer ländlichen Behörde in einer kleinen Dienstgruppe, die ausschließlich aus Männern bestand, zu arbeiten. Mein Anderssein fiel in der Männergruppe gar nicht auf. Wir verstanden uns auf rationaler Ebene.
Polizeiarbeit bedeutet unter anderem Flexibilität, Teamarbeit, soziale Kompetenzen und deeskalierende Kommunikation. Sind das alles Komponenten, die für Autisten schwer bis nicht leistbar sind? Das stimmt so nicht!
Es ist zu leisten, wenn alles nach wiederkehrenden Strukturen geschieht. Also nach Struktur und Plan. Polizeiarbeit ist durch und durch geplant und strukturiert. Jeder hat seine feste Rolle und Aufgabe innerhalb eines Zweierteams. Selbst der Schichtdienst ist immer gleich während.
Jeder Einsatz hat ein Schema F. Bei einem Verkehrsunfall ist ein Kollege für die Rekonstruktion des Unfalls zuständig, indem er die Spuren an der Fahrbahn und Schäden am Fahrzeug protokolliert und bewertet. Der andere Kollege ist für die Zeugenaussagen und Betreuung der Unfallbeteiligten zuständig.
Bei einer Todesbenachrichtigung ist die Aufteilung in böser und guter Polizist gefordert. Der böse Polizist übergibt den Angehörigen sachlich und ohne Drumherum-Gerede die Fakten bekannt und zieht sich dann zurück, damit der gute Polizist die emotionale Betreuung der Angehörigen übernehmen kann.
So hat jeder Einsatz für sich feste Regeln und immer einen roten Faden. Welche Rolle ich im Team hatte, muss ich wohl nicht näher erklären. Fakten sind nun mal leichter als Emotionen.
Natürlich hatte ich immer wieder Zusammenbrüche, die mich aus der Bahn geworfen haben. Emotionale Einsätze, denen ich mich nicht entziehen konnte, habe ich professionell geleistet.
Zu Hause kam dann der Zusammenbruch. Zu spüren, wie Eltern um ihr Kind bangen, das mit lebensgefährlichen Verletzungen nach einem Unfall im Krankenhaus liegt, die Angst Panik und diese tiefe Traurigkeit. Alles kam hoch und überwältigte mich. Ich habe mitgefühlt, mit geweint und mit getrauert.
Nach so einem Einsatz war ich erst einmal krank.

Autisten haben keine Empathie? Das ist so falsch.
Wir fühlen und spüren zu viel und deswegen vermeiden wir emotionale Situationen. Wir wissen, dass uns ein Zuviel an Emotionen aus der Bahn wirft. Wir spüren die Trauer der anderen in jedem Körperteil, es schmerzt überall. Oft genug habe ich zu hören bekommen: „Warum nimmt es dich so mit, es betrifft dich doch nicht.“ Doch die Gefühle meiner Mitmenschen treffen mich frontal – ohne Filter! Und ich bin überfordert, ziehe mich zurück.
Wir leiden nicht sofort. Die Verarbeitung des Erlebten setzt später ein. Das ist der Grund, warum wir in emotionalen Situationen auch handlungsfähig bleiben, wenn alle anderen um uns es nicht mehr sind. Jetzt könnte man auf den Gedanken kommen, dass wir keine Empathie besitzen, weil wir in emotionalen Ausnahmesituationen rational bleiben können.

Aber sind wir deswegen emotional weniger betroffen, nur weil bei uns die emotionale Reaktion später als normal eintrifft?

Bettina Jürgens

Sie ist selbst Autistin und hat ihre Ausbildung als Polizistin absolviert. Darüber berichtet sie in einem unserer Artikel. Heute ist sie Landesbeamtin und zudem auch Mutter betroffener Kinder. Darüber hinaus berät sie als Mitarbeiterin des Teams „Autisten Informieren“ Personen, die selbst im Spektrum sind, als auch Eltern betroffener Kinder, sowie Erzieher und Pädagogen.

7 Antworten

  1. Schade, dass hier nicht darauf eingegangen wird, wie ein Bewerbungsverfahren nicht pauschal abgelehnt wird.

    Den Online-Test habe ich bestanden, ein Sportabzeichen in Silber habe ich auch.

    Trotzdem wurden mir in zwei Bundesländern kategorische Absagen erteilt. „Ein Vorliegen neurologischer oder psychiatrischer Diagnosen führt zur automatischen Ablehnung des Bewerbers“ (BW). „Autismus, in jeglicher Ausprägung, ist ein Ausschlusskriterium“ (BY).

    Sackgasse!

  2. Ein toller Fall und so wahr, dass Autisten zu viel wahrnehmen und damit zu kämpfen haben.
    Schade, dass in unserem Land die herausragenden Stärken von Autisten (noch?) nicht gezielt genutzt werden.

  3. Ich habe selbst Asperger Autismus, aber mein Traum ist es, das Studium der Polizei Berlin zu machen. Ich habe im Alltag keine Probleme, habe mein Abitur mit 1,0 bestanden und habe in mehreren stressigen Berufen gearbeitet… Nun habe ich aber mehrfach gesagt bekommen, Autismus wäre ein Ausschlusskriterium bei der Polizei. Teilweise wurde mir auch gesagt, ich müsse es nicht angeben. Nun bin ich ziemlich irritiert, wie es denn nun ist… diese Seite hat mir etwas Hoffnung gemacht, dass ich mir meinen Traum vielleicht doch noch erfüllen kann.

    Liebe Grüße

  4. Guten Abend Frau Jürgens

    Unser Sohn hat sich bei der Polizei NRW beworben um in die Laufbahngruppe 2.1 des Polizeivollzugsdienstes mit FOS Polizei aufgenommen zu werden.
    Er hat den Computertest sowie das AC bestanden. Den Fragebogen für den Medizinischen Test hat er wahrheitsgemäß ausgefüllt und seinen Asperger Autismus Diagnose nicht verschwiegen, da ihm ein vom Grunde auf ehrlicher Umgang wichtig ist.
    Nun hat er eine Pauschale Ablehnung: Asperger Autismus als Ausschlussgrund für den Polizeidienst erhalten.
    Ihre Geschichte zeigt das dies nicht richtig sein kann. Was können wir tun, damit unser Sohn doch noch seinen Wunschberuf ergreifen kann ?

    Mit freundlichen Grüßen
    Familie Klatt

    1. Hallo,

      Besteht die Möglichkeit, sich mit Ihnen einmal in Verbindung zusetzen ? Beziehungsweise haben Sie eine Einstellung in den Polizieivollzugsdienst durchsetzen können ?
      Ich würde mich über eine Rückmeldung sehr freuen !

    2. Hallo Familie Klatt, ich bin leider erst jetzt auf die Idee gekommen zu gucken wie es eigentlich sonst mit Asperger-Autisten in der Polizei aussieht. Leider ist Asperger ein absoluter Ausschlussgrund und daher etwas was auf keinen Fall in der Bewerberbung drinstehen sollte.
      Die Polizei NRW hat die Löschfristen für Bewerbungsunterlagen im Internet veröffentlicht. Vielleicht passt das ja zeitlich in die Pläne ihres Sohnes rein. Solange dann nichts „belastendes“ zu finden ist sind die Chancen dann wieder da. Sonst, falls sie grenznah wohnen kann die Bewerbung bei einem anderen Bundesland natürlich die Wartezeit sparen.
      Ich wünsche ihrem Sohn viel Erfolg auf seinem Berufsweg und hoffe es geht in eine gute Richtung!

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