Eine Zusammenfassung des Vortrags vom Autismus Kongress am 11. Mai 2024 in Wuppertal
Neurodivergenz betrachtet neurobiologische Unterschiede zwischen Individuen als natürliche Variationen des menschlichen Gehirns und umfasst dabei u.a. ein Spektrum an neurologischen Zuständen wie z.B. Autismus, ADHS, Dyslexie und Dyskalkulie.
Im Kontext des Alters kann Neurodivergenz zusätzlich verschiedene Aspekte aufweisen. Beispielsweise können sich die Merkmale neurodivergenter Erscheinungen mit dem Alter verändern und neurodivergente Menschen benötigen möglicherweise im Verlaufe ihres Lebens unterschiedliche Unterstützung oder Anpassungen.
Neurodivergenz verschwindet nicht im zunehmenden Lebensalter, kann sich jedoch verändern und zeigt sich dadurch auf vielfältige Weise. Im Erwachsenenalter stehen neurodivergente Menschen vor zusätzlichen Herausforderungen in sozialen Interaktionen und beruflicher Entwicklung, die eine tägliche hohe Stressbelastung hervorrufen können. Folglich können die Merkmale des jeweiligen, neurodivergenten Menschen im Alter erweitert und verändert werden, was zu neuen kreativen Herausforderungen führen kann. Es kann weiterhin zu einer Zunahme von Erschöpfung, Vergesslichkeit und zu einem autistischen Burnout kommen, der nicht mit einer herkömmlichen Depression oder einem Burnout zu vergleichen ist.
Oftmals nimmt die Selbstkontrolle ab, das Verbergen neurodivergenter Symptome lässt nach, „Stimming“ kann zunehmen und sich negativ auf die mentale Gesundheit auswirken. Später kann der Übergang in den „Ruhestand“ ebenfalls eine Herausforderung darstellen.
Berufliche, vertraute Strukturen brechen weg, Routinen fehlen, was zu innerer Instabilität und weiteren sichtbaren Symptomen führen kann. Langeweile und Prokrastination („Aufschieberitis“) können zusätzliche Symptome verstärken. Die Abgrenzung zwischen Neurodivergenz und Demenz gestaltet sich zunehmend schwieriger. Unterschiedliche Symptome überlappen, fließen ineinander, ergänzen und potenzieren sich.
Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen, die als Stressfolgeerkrankungen bekannt sind und ältere neurodivergente Menschen können aufgrund von körperlichen, sozialen, und psychologischen Veränderungen besonders anfällig dafür sein. Die häufigsten psychischen Störungen sind autistisches Burnout, Depressionen, Demenz, Angststörungen, Schlafstörungen und der Missbrauch von Alkohol und Medikamenten.
In Pflegeeinrichtungen kann teilweise der Medikamentenmissbrauch auch ein ärztlich verordneter sein, da Bewohner*innen von ihren Hausärzten im Übermaß versorgt werden, um ein störungsfreies Funktionieren im Alltag der Einrichtung zu gewährleisten.
Epilepsie kann ebenfalls zu all den Symptomen hinzukommen.
Ein weiterer bedeutender Punkt ist die stark erhöhte Zunahme der Suizidalitätsbereitschaft.
Weitere zusätzliche Herausforderungen sind teilweise eingeschränkte Nahrungsaufnahme, Bewegungsmangel, geringere Flüssigkeitszufuhr und zunehmende psychosoziale Probleme. Ein großes Problem für neurodivergente Menschen ist der Zugang zum Gesundheitssystem.
Eine Diagnostik erfolgt oft mangelhaft oder gar nicht. Vor fehlender oder mangelhafter Diagnostik wirkt sich jedoch fast noch schlimmer die fehlende Beratung über bestehende Möglichkeiten im Gesundheitssystem aus. Viele Betroffene finden gar nicht den Weg in Seniorenbüros oder Pflegestützpunkte; Hausärzte, Seniorentreffs, kirchliche Veranstaltungen im Rahmen der Altenhilfe, aber auch GKV und PKV weisen darauf nicht hin.
Insgesamt ist es von großer Bedeutung, dass die Gesellschaft ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse von neurodivergenten Menschen in allen Lebensphasen entwickelt und adäquate Unterstützung bereitstellt.
Nachdem ich im Mai 2024 in Wuppertal beim Autismuskongress, „Autisten informieren“ teilgenommen und mich dem Thema „Autismus im Alter- die übersehene Zukunft“ öffentlich zugewandt habe, heiße ich jetzt interessierte Menschen an Bord der „Wir sind da – Autismus im Alter“ herzlich willkommen.
Wir betreten mit diesem Thema völliges Neuland und sind Wegbereiter für zukünftige Generationen in Deutschland. Aktuell ist die Pflegesituation in Deutschland, nicht nur für neurodivergente Menschen, katastrophal. Für uns ist jedoch Ohnmacht oder Aufgeben bei diesem Thema keine Option.
Wer sich auch gerufen fühlt und aktiv bei der Sensibilisierung in der Öffentlichkeit zu diesem Thema mitmachen möchte, möge sich bei mir melden.
[email protected]
Um neurodivergente Menschen im Alter besser zu unterstützen, können folgende Maßnahmen hilfreich und unterstützend sein:
Sensibilität für das Thema Neurodivergenz im Alter
Selbstbestimmung und aktive Unterstützung der Selbsthilfe durch Empowerment und Peer- Groups
Das Ermöglichen von entsprechenden Wohnraumgestaltungen und vielfältigen Wohnformen
Angebote und Beratungsstellen für neurodivergente Menschen im Alter