Was für eine Frage!

Regine Winkelmann

Wird Inklusion in Deutschland spürbar umgesetzt?

Um diese Frage geht es in der Podiumsdiskussion im Anschluss der offenen Vortragsveranstaltung von Autismus-Rhein-Sieg e.V. am 1. April 2023 in Bonn, Rehfuesstr. 38

Moderation: Prof. Dr. Dr. Vogeley
• Judith Braun
• Stephanie Meer – Walter
• Regine Winkelmann

 

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört, egal wie er oder sie aussieht, welche Sprache er oder sie spricht oder ob er oder sie eine Behinderung hat. Inklusion ist ein Menschenrecht, das in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben ist. Deutschland hat diese Konvention im Jahr 2009 ratifiziert und sich damit verpflichtet, Inklusion in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens umzusetzen.
Wir sprechen also nicht von einer schönen Utopie als Möglichkeit, sondern von einem gesetzlich verankertem Menschenrecht.

Doch wie weit sind wir damit gekommen? Ist Inklusion bereits gelungen? Die Antwort ist leider ganz kurz: Nein!
Es gibt noch viele Hindernisse und Herausforderungen auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Vor allem im Bildungsbereich gibt es noch viel zu tun. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2018 besuchten nur 36 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regelschule. Das heißt, dass die meisten Kinder mit Behinderung immer noch getrennt von ihren Altersgenossen ohne Behinderung lernen.

Das ist schade, denn Inklusion hat viele Vorteile für alle Beteiligten. Wenn Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam lernen, profitieren sie von der Vielfalt und können voneinander lernen. Sie entwickeln mehr Toleranz, Empathie und soziale Kompetenzen. Vorurteile werden abgebaut und Freundschaften gefördert. Inklusive Bildung bereitet die Kinder besser auf das Leben in einer bunten und vielfältigen Welt vor.

Es hilft aber nicht, Schüler mit einem individuellen Hilfebedarf nun in eine fertige Regelschule zu setzen.
„Du willst Inklusion? Dann komme damit klar, womit die meisten anderen auch klarkommen.“
Das ist keine Inklusion, das ist erbärmlicher Zynismus.
Doch leider ist es das, was viele Personen mit erhöhten Förder.- und Hilfebedarf erleben.

Um Inklusion zu verwirklichen, braucht es aber mehr als nur den gemeinsamen Unterricht. Es braucht auch eine barrierefreie Umgebung, individuelle Förderung, qualifizierte Lehrkräfte. Es braucht eine positive Einstellung gegenüber der Verschiedenheit der Menschen. Vor allem aber, braucht es auch die Beteiligung und Selbstbestimmung der Menschen, um die es geht. Denn sie sind die Expertinnen und Experten für ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche.
Ja, es braucht viel und es ist eine Herausforderung.
Um diese zu bewältigen und diese Widerstände zu überwinden, benötigen wir auch mehr als nur politische Maßnahmen oder rechtliche Vorgaben. Das funktioniert nur durch Veränderung der Einstellungen und der Kultur in der Gesellschaft. Es braucht eine Haltung der Offenheit, des Respekts und der Wertschätzung für Vielfalt. Eine Bereitschaft zum Dialog, zum Lernen und zum gemeinsamen Gestalten. Und das, wird Zeit brauchen. Denn wir erschaffen dieses Denken nicht per Gesetz. Und es werden leider viele diese Zeit nicht haben. Das frustriert mich sehr.
Ich verstehe, Inklusion ist kein Zustand, sondern ein Prozess. Ein Prozess, an dem wir alle mitwirken müssen. Denn Inklusion geht uns alle an. Wir alle sind Teil dieser Gesellschaft und haben das Recht darauf, dabei zu sein. Und wir alle könnten etwas davon haben, wenn wir gemeinsam verschieden sein dürfen.
Ich bin nur nicht sicher, ob das alle auch wirklich wollen.

 

P:S: Gestern ist das neue Buch von Raul Krauthausen herausgekommen. „Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer Inklusion nicht will, findet Ausreden.“ Ich habe es mir gleich bestellt und freue mich schon sehr darauf, es zu lesen.

Regine Winkelmann

Nach abgeschlossenem Designstudium 1990 brachte sie vier Kinder zur Welt und widmete sich in dieser Zeit ihren Spezialinteressen, der Kunst, Musik und Medizin. Seit der ersten Buchveröffentlichung 2015 widmet sie sich verstärkt der Öffentlichkeitsarbeit. Als Referentin und Autorin hält sie Vorträge und Lesungen über Autismus und artverwandte Neurodivergenz aus ihrer eigenen Perspektive als Autistin mit ADHS. Neben verschiedenen Publikationen verfasst sie Videomaterial und organisiert regelmäßig Kongresse, mit dem Ziel, Betroffenen dort eine Stimme zu geben.

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